- Interview: Béatrice Koch
- Fotos: Béatrice Koch und z.V.g. Ökozentrum
Kurzprofil
Ökozentrum
Schwengiweg 12
4438 Langenbruck
Grüne Wiesen voller weidender Kühe und rucksackbepackte Wanderer, die zu einer Tour über die Juraketten aufbrechen – in Langenbruck, der höchstgelegenen Gemeinde des Baselbiets, erwartet man viel Ruhe, schöne Natur und frische Luft, aber kaum eine technische Forschungseinrichtung, die sich mit der Lösung von Energie- und Umweltproblemen befasst. Und doch befindet sich hier auf dem oberen Hauenstein, fernab vom städtischen Umfeld, das Ökozentrum. Seit bald 40 Jahren forscht dieses zu alternativen Energieformen und entwickelt solche auch selbst. «Das macht uns einzigartig in der Schweiz», sagt Christoph Seiberth.
Seit 13 Jahren ist er Geschäftsführer des Ökozentrums. Von seinem Büro erblickt man die Solarbobbahn, die neben Skilift und Seilpark zu den touristischen Attraktionen von Langenbruck gehört. Der Geograf befasste sich bereits während des Studiums mit Umweltthemen. Im Ökozentrum fand Seiberth den ganzheitlichen Forschungsansatz, der ihn schon seit je überzeugte. «Die wissenschaftliche Erforschung und Entwicklung von Umwelttechnik sind wichtig, reichen jedoch nicht aus. Für den nachhaltigen Umweltschutz braucht es einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.» Seiberth spricht in diesem Zusammenhang nicht etwa von Verzicht, sondern von Suffizienz – im Sinne des französischen Verbs «suffire», genügen: «Wir müssen uns die Frage stellen, was wir wirklich brauchen: Müssen wir, um glücklich zu sein, tatsächlich jedes Jahr eine Kreuzfahrt unternehmen oder nach New York fliegen?» Bei Seiberth persönlich bestimmt das Engagement für eine nachhaltigere Gesellschaft längst den Alltag: Er wohnt im «hintersten Chrachen» im Jura in einem alten Bauernhaus, das er mit Material aus der Bauteilbörse eigenhändig renoviert hat. Zum Haus gehören ein Gemüsegarten, Hühner und ein Fischteich. Seine Wohnform beschert ihm einen langen Arbeitsweg, den er aber immerhin mit dem Elektroauto zurücklegt. Ausserdem gibt ihm die Pendelei die Zeit und Gelegenheit, unterschiedliche Siedlungsgebiete der Schweiz zu entdecken. «Wer sich nur in der Stadt bewegt, übersieht leicht die Probleme, welche die Menschen auf dem Land haben.»
Aus der Taufe gehoben wurde das Ökozentrum in Langenbruck im Jahr 1980 – als Teil der kurz zuvor ins Leben gerufenen Stiftung für angepasste Technologie und Sozialökologie; zu den Gründern der Stiftung gehörte auch ETH-Professor und Solartechnologie-Vordenker Pierre Fornallaz. Das Ökozentrum leistete Pionierarbeit in vielen Bereichen, die heute Standard sind: So brachte es beispielsweise das erste Windrad und die erste Photovoltaikanlage in der Schweiz ans Stromnetz. Auch bei der Nutzung von Biomasse und Solarenergie nimmt das Ökozentrum eine wichtige Vorreiterrolle ein.
Zu den Schwerpunkten im Fachbereich «Forschung und Entwicklung» zählen heute die Elektrifizierung der Schweizer Landwirtschaft, Second-Life-Batteriespeicherlösungen und die Pyrolyseforschung. Bei der in Langenbruck verfeinerten Pyrolysetechnologie entstehen aus Pflanzenresten – etwa aus Abfallprodukten des Kaffeeanbaus – Energie und Pflanzenkohle. Wird Letztere in den Boden eingebracht, fördert dies die Bodenfruchtbarkeit. Zudem ist die gewonnene Energie nicht nur klimaneutral, sondern sogar klimapositiv. Dies, weil der Atmosphäre langfristig CO2 entzogen wird.
Der zweite, grosse Fachbereich «Bildung und Gesellschaft» hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit für Umweltthemen zu sensibilisieren und so den Aufbau einer nachhaltigen, ressourcenneutralen Gesellschaft voranzutreiben. Workshops in Schulen und Firmen sollen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Themen wie Energieverbrauch oder nachhaltigen Konsum näherbringen. Das Ökozentrum finanziert sich aus Erträgen seiner projektbezogenen Zusammenarbeit mit Industriepartnern aus aller Welt, aus Gönner- und Mitgliederbeiträgen und Legaten. Punkto Selbstvermarktung habe es das Ökozentrum nicht immer einfach, räumt Seiberth ein: «Wir bauen Maschinen, und die haben halt nicht den Jö-Effekt eines Robbenbabys.» Das Ökozentrum ist zwar international tätig, aber mit seinen 20 festangestellten Mitarbeitern nach wie vor ein kleiner Betrieb. Basisdemokratisch organisiert wie zu den Anfängen sei man zwar nicht mehr, sagt Seiberth. Doch noch immer sind die Hierarchien sehr flach, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass alle denselben Lohn beziehen. Braucht es also eine gehörige Portion Idealismus, um für das Ökozentrum tätig zu sein? Seiberth: «Idealismus ist zu viel gesagt. Aber man sollte schon überzeugt sein, dass man in wenig Zeit viel bewegen kann.»
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