- Text: Daniela Gschweng
- Foto: Hansjörg Walter
Kurzprofil
Umwelt- und Abfallpädagogik
Beispiel: Besichtigung Kehrichtverwertungsanlage (KVA) Basel
Hagenaustrasse 40/70
4056 Basel
Besichtigung Kehrichtverwertungsanlage
Text publiziert am
13. August 2015 in der Tageswoche
Hausmüll, Biomüll, Foodwaste, Littering – für Abfall gibt es viele Bezeichnungen. Einige davon tragen das Problem schon im Namen: Wir werfen zu viel weg und die Kosten für die Abfallentsorgung werden immer höher. Gerade Littering ist teuer: 200 Millionen Franken pro Jahr kostet es die Schweiz pro Jahr. Städte und Gemeinden unternehmen deshalb vermehrt Anstrengungen, die Bevölkerung über Abfall aufzuklären.
In den letzten Jahren hat sich dadurch vieles verändert. Für den Müll, den wir verursachen, ist ein Bewusstsein entstanden. Einen Beitrag dazu leisten Umwelt- und Abfallpädagogen, die Kurse und Weiterbildungen veranstalten, um die Bevölkerung zu sensibilisieren. Barbara Schumacher ist eine davon.
Frau Schumacher, was macht eine Umweltpädagogin?
Barbara Schumacher: Ich leite verschiedene Kurse, in denen ich Kinder und Erwachsene zu den Themen Umwelt, Abfall und Nachhaltigkeit schule. Einige Tage in der Woche arbeite ich in Basel-Stadt im Programm „Abfallpädagogik“ des Amts für Umwelt und Energie mit. Dort beteilige ich mich neben den Kursen auch an der Öffentlichkeitsarbeit und nehme als Freelancer an Projekten zum Thema Abfall teil. Ansonsten bin ich für die umliegenden Gemeinden tätig. Dort bin ich auch beratend tätig, wenn es um Abfall oder Littering geht. Oder ich helfe bei der Planung von Umweltprojekten wie dem Umweltpfad Therwil. Meistens arbeite ich mit Jugendlichen oder Kindern, denen ich zum Beispiel das Kompostieren beibringe.
Hätten es Erwachsene nicht viel eher nötig? Gerade in Basel gibt es ein grosses Littering-Problem, das eher auf Erwachsene zurückzuführen ist.
Littering gab es schon immer. Denken Sie mal daran, wie der Birsig im 19. Jahrhundert ausgesehen hat. Und wie lange es gedauert hat, bis die Leute eingesehen haben, dass das achtlose Wegwerfen von Abfällen Cholera verursacht. Ganz wegbekommen werden wir es wohl nie, aber sensibilisierte Menschen littern weniger und Kinder sind für das Thema Abfall empfänglicher. Erwachsene empfinden die Thematisierung oft als Einmischung oder auch als Bevormundung.
Leuten vorzuschreiben, was sie wo wegwerfen sollen und wie, ist ja auch ziemlich bevormundend.
Um Vorschriften geht es nicht. Vorschriften bringen gar nichts. Ich versuche, Verständnis zu fördern. Man muss die Hintergründe kennen. Wie Dinge hergestellt werden zum Beispiel, was die Herstellung an Energie verbraucht und was es für die Umwelt oder die Menschen, die die Dinge herstellen, bedeutet. Hätten Sie gewusst, dass viele Bücher aus Papier sind, das zu 20 Prozent Tropenholz enthält? Die meisten Menschen sind eher wenig interessiert an den Hintergründen der Produkte, die sie verbrauchen.
Verständnis fördern klingt gut, für Kinder ist das aber doch viel zu komplex, nicht?
Verständnis fängt bei einfachen Themen an. Kindergartenkindern bringe ich zum Beispiel das Kompostieren bei. Dabei erkläre ich dann, wie Verrottung funktioniert, was von einem Stoff noch übrig bleibt und welche Tiere im Kompost leben. Mit den Älteren gehe ich auf den Werkhof, in den Wald oder zur Biomassenvergärung nach Pratteln. Ich erkläre den Entsorgungsprozess in der Kehrichtverbrennungs-Anlage und was dabei übrig bleibt. Die Kinder lernen dabei, dass Abfall nicht weg ist, wenn man ihn weggeworfen hat. Er taucht verdichtet als giftige Schlacke oder als Feinstaub wieder auf.
Bringen diese Ausflüge denn etwas?
Auf jeden Fall. Ich arbeite seit elf Jahren in diesem Bereich. Inzwischen habe ich also die zweite Generation von Schülern im Unterricht. Auf dem Schulhof oder auch in einigen Gemeinden sieht man die Resultate. Da gibt es inzwischen deutlich weniger Littering.
Haben Sie ein paar Tipps, wie man selbst darauf achten kann, weniger Abfall zu produzieren?
Natürlich! Das fängt damit an, beim Einkaufen darauf zu achten, was man kauft. Bei Aktionen sollte man aufpassen, da kauft man schnell zu viel. Wer immer Grosspackungen kauft, wirft mehr weg. Nicht nur die Verpackung, sondern auch den Inhalt. Convenience Food ist eine Kostenfalle. Wenn man sich genau anschaut, was in den ansprechenden Verpackungen alles drin ist, und es mit dem vergleicht, was man hätte, wenn man etwas Vergleichbares selbst macht, schneidet ein Fertiggericht fast immer schlechter ab.
Und was bringt einem das ausser einem guten Gewissen?
Es bringt eine Menge. Abfallvermeiden hat immer mit Geldsparen zu tun. Gerade Grosspackungen und Aktionsangebote sind am Ende oft gar nicht günstiger. Und auch die Entsorgung kostet Geld. Wer viel wegwirft, zahlt drauf – entweder direkt über die Abfallsack-Gebühren oder indirekt durch Steuern. Müll reduzieren ist unter dem Strich auch gesünder, wenn man zum Beispiel auf Fertigprodukte verzichtet. Derzeit sind zum Beispiel hohe Zuckeranteile in der Diskussion. Wer würde schon mehrere Handvoll Zucker in ein Getränk geben, wenn er es selbst herstellt?
Das klingt alles sehr einfach und logisch. Warum funktioniert das dann so oft nicht?
Es kommt auch darauf an, wo man sich von der Werbung hinführen lässt. Ganz schlimm finde ich die Süssigkeitenregale an Supermarktkassen. Da ist alles bunt und glänzt und jede Mutter mit Kleinkind muss dort länger warten – mit einem Kind, das sowieso schon vom Einkaufen gelangweilt ist und dieses ganze bunte Zeug sieht. Irgendwann gehen einem als Elternteil dann die Nerven durch und man kauft es doch. Sich von der Werbung führen zu lassen ist in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Man lässt sich manipulieren und weiss das. Dagegen wehrt sich eigentlich keiner. Anregungen zu gesünderer Ernährung betrachtet man aber schnell als Einschränkung der persönlichen Freiheit.
Beim Essen für die Kinder sind Eltern bestimmt heikel. Beim Müll trifft das sicher weniger zu.
Von wegen! Gerade was ihre Abfälle betrifft, sind Menschen sehr empfindlich und das aus gutem Grund. Müll ist etwas Intimes. Der Abfall eines Menschen legt seine ganze Lebens- und Verhaltenssituation dar. Ich kenne keinen Lebensbereich, in dem das sonst so offen zutage treten würde; so viel über einen Menschen erfahre ich nicht einmal beim Besuch einer Privatwohnung. Der Abfall legt alles offen.
Das heisst, es ist schwierig, mit Leuten über ihren Müll zu sprechen?
Es gibt da einen anderen Kurs: „Abfallvermeidung im Schulalltag“. Da sollen die Kinder den Abfall der letzten Tage von zu Hause mitbringen. Oft klappt das aber nicht, weil es für die Eltern schon peinlich werden kann, was man da konsumiert und wie viel davon. Kinder sind da völlig offen und hemmungslos, die vergleichen direkt untereinander, wer jetzt den grösseren Abfallberg hat und was drin ist. Viele Eltern wollen das nicht.
Abfall ist etwas Unansehnliches, eventuell Übelriechendes und man will ihn loswerden, sonst würde man ihn ja nicht wegwerfen. Warum betrachtet man dies als so private Angelegenheit?
Gerade deshalb, weil man sich ja selbst schon davon getrennt hat, findet man es nicht angenehm, wenn jemand anderes darin rumwühlt und diesen Abfall beurteilt.
Eine Kollegin von der TagesWoche war vor einiger Zeit mit der Basler Stadtreinigung unterwegs. Gerade am Rheinbord gibt es im Sommer viel zu tun, da lassen die Leute ihren Abfall einfach liegen. Wie passt das zusammen?
Littering ist verboten und somit eine einfache Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten. Etwas auf den Boden zu werfen ist so etwas wie eine kleine Provokation, eine kleine Mutprobe. Man fühlt sich als Held: „Ich lehne mich mit dieser einfachen Aktion gegen die Gesellschaft auf.“ Dazu kommt der Gruppendruck. Dadurch fangen auch Leute an zu littern, die sonst nie etwas auf den Boden werfen, weil sie nicht als Spiesser dastehen wollen. Und der Konformitätsdruck setzt sich in Menschenmengen natürlich fort. Wo schon etwas auf dem Boden liegt, wird mehr dazugeworfen. Wenn eine Grenze überschritten ist, wird das schnell hemmungslos.
Klingt ziemlich aussichtslos, etwas dagegen zu tun.
Ganz wegkriegen wird man es nie, aber hoffnungslos ist es nicht. Ein positives Beispiel kenne ich aus Oberwil. Seit fünf Jahren unterrichte ich dort die Abschlussklassen. Deren Abschlussfeste endeten früher oft mit einer Müllhalde auf dem Platz und Vandalismus in der Gemeinde. Inzwischen gehen wir jedes Jahr für einen dreistündigen Workshop auf den Werkhof. Damit bekommen die Menschen, die den Abfall in der Gemeinde wegräumen für die Jugendlichen ein Gesicht. Sie bemerken, dass die Mitarbeiter nicht „froh sind, dass sie Abfall wegräumen dürfen“, sondern im Gegenteil noch sehr viel andere Arbeiten zu erledigen haben. In den letzten beiden Jahren füllte der Abfall nach dem Abschlussfest noch einen 35-Liter-Sack – bei einem Anlass mit 150 Jugendlichen.
Würde das in einem urbanen Umfeld genauso gut funktionieren?
Leider nicht in diesem Umfang, da nutzen zu viele Menschen den öffentlichen Raum. Um auf etwas acht zu geben, muss man sich damit identifizieren können. Wo man sich „daheim“ fühlt, wirft man weniger leicht etwas auf den Boden.
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