26. UN-Klimakonferenz

Die 26. UN-Klimakonferenz hat vom 31.10. - 13.11. 2021 in Glasgow stattgefunden.

An der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow zeigte sich, wie gross die Diskrepanz zwischen den Forderungen von Aktivistinnen und Aktivisten und den Zusagen ihrer politischen Vertretungen ist. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen verlieren die Geduld und den Glauben an politische Lösungen. Der Journalist Samuel Schlaefli und die Filmemacherin Esther Petsche waren für eine Doku zur COP26 in Glasgow. Im Folgenden erzählen sie von ihren Eindrücken.

COP26 Glasgow: Spannende Eindrücke aus der 26. UN-Klimakonferenz

An der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow zeigte sich, wie gross die Diskrepanz zwischen den Forderungen von Aktivistinnen und Aktivisten und den Zusagen ihrer politischen Vertretungen ist. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen verlieren die Geduld und den Glauben an politische Lösungen. Der Journalist Samuel Schlaefli und die Filmemacherin Esther Petsche waren für eine Doku zur COP26 in Glasgow. Im Folgenden erzählen sie von ihren Eindrücken.

Text: Samuel Schlaefli
Video: Esther Petsche

Wir können unsere Stadt nicht alle paar Jahre wieder neu aufbauen!

Freitagmorgen 12.11.2021, die Klimaverhandlungen der 26. «Conference of the Parties» (COP) sollen laut Agenda in wenigen Stunden zu Ende sein. Hinter einem hohen Metallzaun erstreckt sich die grossflächige «Blue Zone» des «Scottish Event Campus», wo die Gespräche der 197 UN-Staaten zur Konkretisierung des Pariser Klimavertrags und damit zu Massnahmen gegen die fortschreitende Klimakrise stattfinden.

Davor haben Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future (FFF) und Extinction Rebellion (XR) eine kleine Bühne mit Lautsprechern aufgebaut. «What do you want», schreit eine Aktivistin ins Mikrofon. «Climate Justice», entgegnen ihr rund hundert vorwiegend jungen Menschen davor. «When do you want it?», hakt sie nach. «Now!», entgegnen die Protestierenden.

Während die Diplomatinnen und Diplomaten noch über einem Klimapakt brüten, lassen die Aktivistinnen und Aktivisten ihrem Frust mit Musik, dramatischen Reden und Sprechchören freien Lauf. Denn die Vorschläge, die drinnen im Konferenzsaal auf dem Tisch liegen, reichen noch bei Weitem nicht aus, um das 1.5°C- Ziel zu erreichen.

Die maximale Temperaturerhöhung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter, bei der laut Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftler mit grosser Wahrscheinlichkeit die schlimmsten Folgen der globalen Erhitzung und verheerende irreparable Schäden am globalen Ökosystem vermieden werden können.

Eine Frau mit blauen Haaren hält ein Schild hoch.

Eine junge Aktivistin aus Uganda ergreift das Wort auf der Bühne und erzählt, wie bei ihr zuhause schon heute Menschen aufgrund von Hitze, Dürre und Überflutungen sterben. «Aber wir sind denen da drinnen anscheinend egal», empört sie sich und zeigt auf die Blue Zone hinter ihr.

Genauso wie viele NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppen fordert sie, dass westliche Industriestaaten endlich die 100 Milliarden Dollar jährlich für Klimaadaption an Entwicklungsländer bezahlen, wie sie es 2009 in Kopenhagen für die Zeit nach 2020 versprochen hatten. Auch das Einrichten eines zusätzlichen Fonds für «Loss & Damage», für Verluste und Schäden in den heute schon am stärksten von der Klimakrise betroffenen Gebiete, war eine der Hauptforderungen an dieser COP.

Die Industriestaaten als Hauptverursacher der Klimakrise sollen denjenigen Menschen Kompensationen bezahlen, die ihre Lebensgrundlagen klimabedingt verlieren und zur Flucht gezwungen werden. Alleine 2020 waren dies geschätzte 30 Millionen Menschen, vorwiegend im Globalen Süden.

Letzte Chance

Am Samstag vor der letzten Verhandlungswoche waren in Glasgow Zehntausende auf die Strasse gegangen, um friedlich für einen griffigen Klimapakt und mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Dass dabei ein Polizeihubschrauber über der Menge kreiste und tausende Polizisten aus ganz England Präsenz markierten, war für die meisten zumindest irritierend.

Unter den Demonstrierenden waren viele Kinder, Jugendliche und Familien. Richard Averill, ein Schotte um die 60ig aus Helensburgh war wegen seiner vierjährigen Enkeltochter an die Demo gekommen:

«Ich will nicht, dass sie in einer verschmutzten Welt aufwächst, ich will dass sie glücklich ist. Hier in Glasgow geht es um die Zukunft, das ist vielleicht unsere letzte Chance.»

Eine Frau, die in einem Rollstuhl sitzt, hält ein Schild in den Händen.

Cherelle Blazer war aus New Orleans an die COP26 angereist, um sich für ihre Gemeinde einzusetzen. Sie erzählt: «Wir mussten unsere Stadt diesen Sommer erneut evakuieren. Die Stürme kommen schneller, werden stärker und immer unberechenbarer. Tausende verloren ihr zuhause. Wir können unsere Stadt nicht alle paar Jahre wieder neu aufbauen!»

Ihre Kollegin, Memory Kachambwa, lebt in Kenia und vertritt das «African Womens Development Communication Network» an der COP. Sie kämpft dafür, dass zivilgesellschaftliche Gruppen aus Afrika stärker an den Verhandlungen vertreten sind, genauso wie Frauen, die überdurchschnittlich von der Krise betroffen sind. «Und wir wollen, dass unsere Politiker Verantwortung übernehmen und keine miesen Deals im Verborgenen aushandeln. Dafür müssen die Verhandlungen transparenter werden.»

Kachambwa und Blazer gehören zu denjenigen «frontline communities», die bereits heute stark von Katastrophen betroffen sind, die durch die globale Erhitzung deutliche häufiger auftreten. Trotz restriktiver Visavergabe durch Grossbritannien, den Reisebeschränkungen infolge Covid-19 sowie der hohen Lebenskosten in Schottland, waren viele angereist, um in formellen und informellen Podien, Pressekonferenzen, Diskussionen und Protesten von ihren Erfahrungen zu erzählen.

Ihre Hauptforderung: Mehr Gerechtigkeit und Solidarität.

Gipfel für inklusive Debatten

Dass die Stimmen der «frontline communities» trotz aller Hürden und Einschränkungen zumindest am Rande der offiziellen Verhandlungen präsent waren und sich eine Stimme verschaffen konnten, war zu grossen Teilen der «COP26 Coalition» zu verdanken, einem Zusammenschluss von nationalen und internationalen Umwelt- und Entwicklungs-NGOs, Gewerkschaften sowie Anti-Rassismus-, Flüchtlings- und Kirchenorganisationen.

Über ein Jahr lang bereiteten die Engagierten in hunderten von Zoom-Meetings ein unglaublich vielfältiges Rahmenprogramm in Gemeinde- und Kulturzentren, in Museen und Theatern auf die Beine.

Die meisten Events konnten auch Online mitverfolgt werden. Während des viertägigen «People Summit» traf sich die Zivilgesellschaft jeden Abend im «Adelaide Place», einer baptistischen Kirche mit grosszügigem Konzertsaal und Platz für 400 Gäste.

Ein Mann steht vor einem Plakat, dass an ein Fahrrad angehängt ist.

Die Veranstaltenden schufen auf der Bühne viel Raum für indigene Gruppen, für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner, für Frauen und Menschen mit Beeinträchtigungen – also für all diejenigen, die von den Auswirkungen der Klimakrise besonders betroffen, in den offiziellen Verhandlungen und öffentlichen Debatten zum Klima jedoch ungenügend vertreten sind.

Inklusion und Integration wurde am People Summit nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt: Die englischen Reden wurden simultan ins Spanische, Portugiesische, in Gebärdensprache und teils weitere Sprachen übersetzt. Es wurde Zugang für Behinderte geschaffen, auf Postern dazu aufgerufen, diskriminierendes Verhalten den Veranstaltenden zu melden.

Und die Teilnehmenden waren bei diesen «movement assemblies» längst nicht nur passive Zuhörende: Auf grossen Papierbögen trugen sie mit Stiften und Post-its selbst Ideen und Vorschläge zusammen, wie die Klimabewegung konkret auf eine klimagerechtere Welt hinarbeiten kann, wie nachhaltige nachbarschaftliche Gemeinschaften aufgebaut werden können, um «real zero» (anstelle von «net zero») im Kleinen vorzuleben und wie der politische Druck weiter ausgebaut werden kann.

Den Wandel in die eigenen Hände nehmen

Was uns während den zahlreichen Gesprächen mit Jugendlichen, Aktivist:innen, Indigenen und Menschen aus dem Globalen Süden bewusst wurde: Viele haben keine Geduld mehr, um auf Zusagen und griffige Massnahmen ihrer politischen Vertreter:innen zu warten.

Sie haben die Hoffnung aufgegeben, dass die Klimakrise über den politisch-demokratischen Weg sowie den offiziellen UNFCCC-Mechanismus mit seinen jährlichen COPs gelöst werden kann. Ihre Alternative: Mobilisieren, demonstrieren, ziviler Ungehorsam und den nötigen Wandel selbst leben – jetzt, sofort und nicht erst 2030 oder 2050, so wie es die meisten politischen Agenden vorsehen. «People power; climate justice!» war diese Tage in Glasgow oft zu hören.

Die Forderung, die Interessen der breiten Bevölkerung höher zu gewichten, als diejenigen von Unternehmen, die mit fossilen Energieträgern nach wie vor Milliardenprofite erzielen, war lauter denn je.

Drei Personen tragen unterschiedliche Masken mit den Gesichtern von Politikern auf denen Dither, Delay und Deny steht.

Umso schmerzlicher war es für viele im Laufe der zweiten Verhandlungswoche zu erfahren, dass über 500 akkreditierte Delegierte eine Verbindung zur Kohle-, Erdöl- oder Gasindustrie hatten. Damit war die fossile Industrie an der COP besser vertreten als diejenigen acht Staaten zusammengenommen, die in den letzten 20 Jahren am stärksten von der Klimakrise betroffen waren.

Dieses Ungleichgewicht und die damit verbundene Ungerechtigkeit trugen massgeblich dazu bei, dass der «Glasgow Climate Pact» – trotz einiger Fortschritte – am Ende deutlich weniger ambitioniert ausfiel, als viele sich erhofft hatten.

Die Filmemacherin Esther Petsche und der Journalist Samuel Schlaefli arbeiten aktuell an einem Kurzdokumentarfilm zu den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten während der COP26 in Glasgow. Dafür haben sie zehn Tage lang Aktivistinnen und Aktivisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Kunstschaffende vor Ort begleitet. Ihr Film wird im Frühling 2022 erscheinen.

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