An der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow zeigte sich, wie gross die Diskrepanz zwischen den Forderungen von Aktivistinnen und Aktivisten und den Zusagen ihrer politischen Vertretungen ist. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen verlieren die Geduld und den Glauben an politische Lösungen. Der Journalist Samuel Schlaefli und die Filmemacherin Esther Petsche waren für eine Doku zur COP26 in Glasgow. Im Folgenden erzählen sie von ihren Eindrücken.
Die 26. UN-Klimakonferenz hat vom 31.10. - 13.11. 2021 in Glasgow stattgefunden.
An der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow zeigte sich, wie gross die Diskrepanz zwischen den Forderungen von Aktivistinnen und Aktivisten und den Zusagen ihrer politischen Vertretungen ist. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen verlieren die Geduld und den Glauben an politische Lösungen. Der Journalist Samuel Schlaefli und die Filmemacherin Esther Petsche waren für eine Doku zur COP26 in Glasgow. Im Folgenden erzählen sie von ihren Eindrücken.
Text: Samuel Schlaefli
Video: Esther Petsche
Eine junge Aktivistin aus Uganda ergreift das Wort auf der Bühne und erzählt, wie bei ihr zuhause schon heute Menschen aufgrund von Hitze, Dürre und Überflutungen sterben. «Aber wir sind denen da drinnen anscheinend egal», empört sie sich und zeigt auf die Blue Zone hinter ihr.
Genauso wie viele NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppen fordert sie, dass westliche Industriestaaten endlich die 100 Milliarden Dollar jährlich für Klimaadaption an Entwicklungsländer bezahlen, wie sie es 2009 in Kopenhagen für die Zeit nach 2020 versprochen hatten. Auch das Einrichten eines zusätzlichen Fonds für «Loss & Damage», für Verluste und Schäden in den heute schon am stärksten von der Klimakrise betroffenen Gebiete, war eine der Hauptforderungen an dieser COP.
Die Industriestaaten als Hauptverursacher der Klimakrise sollen denjenigen Menschen Kompensationen bezahlen, die ihre Lebensgrundlagen klimabedingt verlieren und zur Flucht gezwungen werden. Alleine 2020 waren dies geschätzte 30 Millionen Menschen, vorwiegend im Globalen Süden.
Cherelle Blazer war aus New Orleans an die COP26 angereist, um sich für ihre Gemeinde einzusetzen. Sie erzählt: «Wir mussten unsere Stadt diesen Sommer erneut evakuieren. Die Stürme kommen schneller, werden stärker und immer unberechenbarer. Tausende verloren ihr zuhause. Wir können unsere Stadt nicht alle paar Jahre wieder neu aufbauen!»
Ihre Kollegin, Memory Kachambwa, lebt in Kenia und vertritt das «African Womens Development Communication Network» an der COP. Sie kämpft dafür, dass zivilgesellschaftliche Gruppen aus Afrika stärker an den Verhandlungen vertreten sind, genauso wie Frauen, die überdurchschnittlich von der Krise betroffen sind. «Und wir wollen, dass unsere Politiker Verantwortung übernehmen und keine miesen Deals im Verborgenen aushandeln. Dafür müssen die Verhandlungen transparenter werden.»
Kachambwa und Blazer gehören zu denjenigen «frontline communities», die bereits heute stark von Katastrophen betroffen sind, die durch die globale Erhitzung deutliche häufiger auftreten. Trotz restriktiver Visavergabe durch Grossbritannien, den Reisebeschränkungen infolge Covid-19 sowie der hohen Lebenskosten in Schottland, waren viele angereist, um in formellen und informellen Podien, Pressekonferenzen, Diskussionen und Protesten von ihren Erfahrungen zu erzählen.
Ihre Hauptforderung: Mehr Gerechtigkeit und Solidarität.
Die Veranstaltenden schufen auf der Bühne viel Raum für indigene Gruppen, für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner, für Frauen und Menschen mit Beeinträchtigungen – also für all diejenigen, die von den Auswirkungen der Klimakrise besonders betroffen, in den offiziellen Verhandlungen und öffentlichen Debatten zum Klima jedoch ungenügend vertreten sind.
Inklusion und Integration wurde am People Summit nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt: Die englischen Reden wurden simultan ins Spanische, Portugiesische, in Gebärdensprache und teils weitere Sprachen übersetzt. Es wurde Zugang für Behinderte geschaffen, auf Postern dazu aufgerufen, diskriminierendes Verhalten den Veranstaltenden zu melden.
Und die Teilnehmenden waren bei diesen «movement assemblies» längst nicht nur passive Zuhörende: Auf grossen Papierbögen trugen sie mit Stiften und Post-its selbst Ideen und Vorschläge zusammen, wie die Klimabewegung konkret auf eine klimagerechtere Welt hinarbeiten kann, wie nachhaltige nachbarschaftliche Gemeinschaften aufgebaut werden können, um «real zero» (anstelle von «net zero») im Kleinen vorzuleben und wie der politische Druck weiter ausgebaut werden kann.
Umso schmerzlicher war es für viele im Laufe der zweiten Verhandlungswoche zu erfahren, dass über 500 akkreditierte Delegierte eine Verbindung zur Kohle-, Erdöl- oder Gasindustrie hatten. Damit war die fossile Industrie an der COP besser vertreten als diejenigen acht Staaten zusammengenommen, die in den letzten 20 Jahren am stärksten von der Klimakrise betroffen waren.
Dieses Ungleichgewicht und die damit verbundene Ungerechtigkeit trugen massgeblich dazu bei, dass der «Glasgow Climate Pact» – trotz einiger Fortschritte – am Ende deutlich weniger ambitioniert ausfiel, als viele sich erhofft hatten.
Die Filmemacherin Esther Petsche und der Journalist Samuel Schlaefli arbeiten aktuell an einem Kurzdokumentarfilm zu den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten während der COP26 in Glasgow. Dafür haben sie zehn Tage lang Aktivistinnen und Aktivisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Kunstschaffende vor Ort begleitet. Ihr Film wird im Frühling 2022 erscheinen.